Sebastian Gläser gelingt ein Meisterstück
Der Berliner Amateurfahrer führt den Außenseiter Russel zum Triumph im Fritz-Brandt-Rennen 2023. André Pögel sorgt mit seinem 500. Karriereerfolg ebenfalls für Gänsehaut-Momente. Die Silber- und Newcomer-Läufe gehen an Michael Nimczyk und Josef Franzl.
Schlechtes Wetter, aber eine imponierende Zuschauerkulisse mit vielen Neubesuchern: Zwei Tage vor dem 110. Geburtstag der Mariendorfer Traberpiste am 9. April feierte einer der traditionellsten Berliner Sulky-Klassiker ebenfalls ein kleines Jubiläum: das Fritz-Brandt-Rennen. Es handelte sich am Karfreitag zwar nicht um eine runde Auflage der renommierten Amateurprüfung, aber dennoch um ein ganz besonders Datum. Denn die Erstaustragung des Fritz-Brandt-Rennens fand 1933 statt – also vor genau 90 Jahren. Zudem standen insgesamt 18.000 Euro Preisgeld über den beiden Vorläufen und dem Finale. Das Teilnehmerfeld erwies sich dieses besonderen Anlasses würdig und natürlich hatte es sich auch der amtierende deutsche Amateur-Champion Thomas Maaßen nicht nehmen lassen und ging auf der Derby-Bahn an den Start.
Im 1. Vorlauf stand Maaßen dann auch prompt im Mittelpunkt, denn auf dem Wettmarkt wurde sein Schützling Kronos Centaur als 1,2-Topfavorit gehandelt. Dies erwies sich zwar als goldrichtige Einschätzung. Doch in der Anfangsphase des Rennens gerieten die zahlreichen Anhänger des Wallachs trotzdem mächtig ins Schwitzen. Denn Thomas Maaßen kam mit seinem Pferd auf der ersten halben Runde einfach nicht an der innen mit Hot Dansk Dynamite zäh dagegenhaltenden Sarah Kube vorbei. Beide Kontrahenten drückten das Gaspedal voll durch und erst auf Zielhöhe hatte Kronos Centaur dann doch die Spitze erobert. Eigentlich ein nahezu desaströser Verlauf. Aber aus welchem Holz der Sechsjährige geschnitzt ist, zeigte er auf der Schlussrunde. Während Hot Dansk Dynamite dem geschonten Kamalia Joe (Yanick Mollema) Rang zwei überlassen musste, stiefelte Kronos Centaur in 13,7/1.900m völlig unbeeindruckt dem Pfosten entgegen.
Der 2. Vorlauf glich ebenfalls einem Actionfilm, denn aufgrund zahlreicher Positionswechsel flaute die Spannung zu keinem Zeitpunkt ab. Erst hatte Russel (Sebastian Gläser) die Führung, dann marschierte Karel G Greenwood (Emma Stolle) auf. Und Ende der Gegenseite schien sich ganz deutlich der Sieg von Sarah Kube und Captain Olaf anzubahnen, denn der Wallach wurde in der Außenspur immer stärker. Ende des Schlussbogens wirkte es für einen Moment sogar so, als könne sich Captain Olaf vom Feld lösen – doch ein Gegner war ihm nahezu unauffällig gefolgt. Nämlich der von Bernd Nebel präsentierte und zur 10.5-fachen Quote gehandelte Gino. Und tatsächlich: Obwohl der Dunkelbraune Mitte Februar in ähnlich aussichtsreicher Lage angesprungen war, scheute Bernd Nebel das Risiko nicht und gab sich nicht dem Ehrenrang zufrieden. Er setzte mit seinem Traber alles auf eine Karte und Gino fing Captain Olaf in 13,8/1.900m ab. Schon deutlicher zurück ergatterte Russell den dritten Platz.
Doch wer genau hingeschaut und auf Russel und Sebastian Gläser geachtet hatte, erhielt hinsichtlich des Endlaufs einige wertvolle Hinweise. Denn der Vierbeinerstolz der Berliner Familien Köster und Wermes hatte in der entscheidenden Phase des Vorlaufs keine freie Fahrt gehabt. Er musste ausgangs des Schlussbogens erst den nachlassenden Karel G Greenwood umschiffen und als dies geschah, waren die Würfel längst gefallen und er konnte sich nicht mehr in den Kampf um den Sieg einschalten. Der dritte Platz war also alles andere als eine Enttäuschung. Dass mit Russel stets zu rechnen ist, bewies der Wallach prompt im Finale. Wobei zunächst einmal andere Protagonisten das Geschehen bestimmten. Was auch kein Wunder war, denn der bei 13,8:1 notierte Russel hatte aufgrund seiner Gewinnsumme zusätzlich zu der langen 2.500-Meter-Distanz auch noch eine Zulage zu bewältigen.
Daher machte zunächst einmal
Kamalia Joe die Musik, der dann aber von Kronos Centaur an der Spitze abgelöst
wurde. Für Thomas Maaßen und seinen Favoriten schien sich alles nach Plan zu
entwickeln. Aber auf der letzten Überseite kam Russel von der fünften Position
aus regelrecht angeflogen. Die Art und Weise, in der er an die Flanke von
Kronos Centaur heraneilte, war phantastisch und unmittelbar vor dem
Schlussbogen konnte man bereits erahnen, dass das Pendel zugunsten des
Außenseiters ausschlagen würde. Im Einlauf stecke Russel endgültig die Nüstern
in Front und obwohl sich Kronos Centaur noch einmal aufbäumte, musste er sich
dem 16,6/2.520m trabenden Gegner mit einer Halslänge geschlagen geben. Zweieinhalb
Längen dahinter belegte Kamalia Joe den dritten Rang. Sebastian Gläser war also
ein Meisterstück gelungen. „Russel stürmte auf der Gegenseite so rasch am Feld
vorbei, dass ich gedacht habe: ente oder trente“, schilderte der Sieger im
Anschluss seine Gefühle während des entscheidenden Schachzugs.
Doch das Finale des Fritz-Brandt-Rennens war nicht der einzige emotionale Höhepunkt an diesem Tag. Denn ein weiterer Amateur verlieh der Veranstaltung strahlenden Glanz: Andre Pögel erzielte den 500. Treffer seiner Karriere und wie beliebt der trotz seiner vielen Erfolge stets bescheiden auftretende Sportler beim Publikum ist, wurde umgehend unter Beweis gestellt. Volles Haus und Gänsehaut-Feeling pur am Mariendorfer Winner-Circle! Mit dem für seine eigenen und die seiner Lebensgefährtin Angela Hahn Farben laufenden Power Snatch, der von Trainer Dirk Hafer trotz anderthalbjähriger Pause auf Anhieb topfit vorgestellt wurde, ließ der gelernte Hufschmied seinen Konkurrenten von der Spitze aus in 14,2/1.900m nicht den Hauch einer Chance.
Neben dem Fritz-Brandt-Rennen kam natürlich auch den mit insgesamt 16.000 Euro dotierten Läufen der Silber- und Newcomer-Serien besondere Bedeutung zu. Silber ging an Michael Nimczyk und Jacques Villeneuve, der momentan in der Form seines Lebens läuft. „Er ist ein richtiger Kämpfertyp“, strahlte der Abonnements-Champion über seinen Sieger, der den Familien Fiedler, Mittenzwei und Jung-Fringel gehört. Obwohl die Startphase noch nicht einmal optimal für ihn verlief und Jacques Villeuve zeitweilig durch die dritte Spur gehen musste, setzte Nimczyk den Sechsjährigen entschlossen ein. Eine Runde vor dem Ziel zog der Hengst nach vorne und der Rest war in der 13,1-Tagesbestzeit und mit dreieinhalb Längen vor Scala (Josef Franzl) sowie Global Commission (Jörgen Sjunnesson) nur noch eine Formsache. Bei den Newcomern wurde das Ergebnis Michael Nimczyk vor Josef Franzl exakt umgedreht, denn diesmal ließ der Lasbeker Trainer mit der Start-Ziel dominanten Siena dem Goldhelm, der mit Limbo K Newport an der Innenkante eingesperrt war, keine Gelegenheit zum Angriff.
Die Ergebnisse des weiteren
Programms in chronologischer Reihenfolge: Der Veranstaltungsauftakt – ein Trotteur
Français – ging an Victor Gentz und Germinal.
Für den siebenjährigen Wallach, der sich überaus leicht Start-Ziel gegen den
mit 40 Metern Zulage bedachten Beau de la Vitard (Ronald de Beer) durchsetzte,
war es der dritte Erfolg en suite. Auch Zina
Superstar gab mit Dennis Spangenberg stramm das Tempo vor, aber durch die
vehement nachsetzende Ma Bonheur und
Victor Gentz wurde es am Ende so eng, dass auch das Zielfoto beide Pferde nicht
voneinander trennen konnte. Josef Franzl musste mit Rimski zwar auf der Schlussrunde durch die Außenspur, der Wallach
siegte aber trotzdem völlig souverän. Für den offensiv von der Spitze aus
vorgetragenen 12,9-Außenseiter Timberlake
Diamant sprang in 13,7/1.900m der
erste Volltreffer seit Juni 2022 heraus – und zwar mit Hans-Jürgen von Holdt,
der ihn zuvor noch nie gesteuert hatte. Mit Michael Nimczyk im Sulky ging La Vie en rose das gesamte Rennen durch
die zweite Spur und passierte die Ziellinie dennoch als Siegerin.
Gesamtumsatz: 168.714,01 Euro. Bahnumsatz: 56.505,10 Euro. Außenumsatz: 112.208,91 Euro.