Das Deutsche Traber-Derby endet mit einer Sensation
Top-Favorit Usain Lobell verpatzt den Start – und täglich grüßt… Paul Hagoort! – Lorens Flevo nutzt die Gunst der Stunde – Micha Brouwer jüngster Triumphator aller Zeiten – Neuer Bahnrekord durch den von Rudolf Haller gesteuerten Halva von Haithabu
(MW) Wie lautet ein Slogan der Filmtheater-Branche
so schön: „Im richtigen Kino bist du nie im falschen Film.“ Im richtigen Kino
in Berlin-Mariendorf, dennoch im falschen Film, nämlich in einer Wiederholung
des Vorjahrs, wähnten sich die Zuschauer in der 126. Auflage des deutschen Traber-Derbys:
Das Rennen war keine 100 Meter alt, da explodierte wie 2020 Keytothehill der
brandheiße 14:10-Favorit Usain Lobell, nach Einschätzung aller Experten und
solcher, die es sein wollen, der unantastbare Primus dieser Generation, im
Galopp. „Er lässt sich dann nicht mehr regulieren, und so konnte ich ihn nicht
korrekt aus der Gefahrenzone steuern und habe andere Teilnehmer behindert“,
entschuldigte sich Robin Bakker für das Malheur seines Schützlings, für den es
somit nichts daraus wurde, sich zehn Jahre nach seiner Mutter Lobell Countess
mit dem Blauen Band zu schmücken. Der mit einem Radschaden angehaltene Jimmy
Ferro BR war das eine, Global Ufo, der nach einer langen Schrecksekunde
weitermachte und als Fünfter durchs Ziel sprang, das andere Opfer. Und weil
Days of Thunder ohne Fremdverschulden in gestrecktem Galopp begann, Don Trixton
und Grand Ready Cash das Startauto nur aus unendlicher Ferne sahen und der
rekonvaleszente Teatox gar nicht erst angetreten war, war der Kreis der
Anwärter auf den klassischsten Lorbeer, den der deutsche Trabrennsport zu
vergeben hat, in Windeseile auf ein Sextett zusammengeschmolzen.
Wobei
der Start unabhängig von Usain Lobells Galoppeinlage so nie hätte abgehen
dürfen, denn korrekt am Startwagen waren nur drei der acht Teilnehmer, die
direkt hinter den Flügeln Platz zu nehmen hatten. Für die Einhaltung der
Spielordnung, die Disziplin „aufm Platz“ sind in jeder Sportart die
Schiedsrichter verantwortlich, sprich in die diesem Fall die Rennleitung, die
nicht zum ersten Mal die Zügel gewaltig schleifen ließ. Zum Unmut so mancher
Wetter, von denen das Wohl und Wehe des Pferderennsports abhängt. Wie’s gemacht
wird, exerzierten, als das Deutsche Derby noch am ersten Augustsonntag
entschieden wurde, die Amerikaner mit ihrem Hambletonian für Dreijährige vor,
in dem es bei 1.000.000 US-Dollar auch nicht gerade um Peanuts geht. Gestern
gab’s 45 Minuten zuvor Anschauungsunterricht beim mit ebenfalls zwölf Startern
bestückten Svenskt Trav-Derby, dessen erster Startversuch zurückgepfiffen
worden war, weil ein Teilnehmer aus der zweiten Startreihe seinen Platz nur
unter Mühen hätte einnehmen können.
Gut
nach all dem anfänglichen Kuddelmuddel, wenn man wie Paul Hagoort einen zweiten
Kandidaten unter Order hat, dem von Hause aus trotz seines Vorlaufsieges keine
Chance eingeräumt worden war und der genau diese eiskalt nutzte. Gerade
rechtzeitig hatte der Erfolgscoach aus dem 200-Einwohner-Ort Oldetrijne, nicht
mal 10 Kilometer von der Rennbahn Wolvega entfernt, Lorens Flevo in Derby-Schwung gebracht, und der 21jährige Micha Brouwer verpasste ihm cool bis
ins Mark einen Rennverlauf, der einem alten, mit allen Wassern gewaschenen
Hasen geziemt hätte. Der alte Hase hieß zunächst Jos Verbeeck. Der 64jährige
„Hexer von Vincennes“, kurzfristig für den erkrankten Weltmeister Rick Ebbinge
eingesprungen, unterstrich, dass er noch lange nicht zum alten Eisen zählt, und
brachte den vielgelobten Rob The Bank mühelos in Front. Dahinter parkten Global
Ufo und Timothy B, die äußere Führung blieb Lockheed Draviet vor Lorens Flevo
vorbehalten. Besser konnte es für Brouwer gar nicht laufen. Aus der letzten
Kurve hatte Rob The Bank gegen den zunehmenden Druck Lockheed Draviets nichts
mehr auf dem Konto, und bis Mitte des Einlaufs konnten Thomas Panschow vom
zweiten, Trainer Arnold Mollema vom dritten deutschen Derby-Sieg träumen. Dann
hatte sich Riet Hazelaar um Rob The Bank geschlängelt und wurde innen immer
stärker, und ganz außen mischte sich plötzlich Lorens Flevo ein. Auf den
letzten Metern erzwang der mächtige Fuchswallach in einem epischen Finish, das
die verkorkste Startphase vergessen machte, die Wende. Sein junger Steuermann,
der vor einer Woche seinen 100. Sieg gelandet hatte, konnte sein Glück kaum
fassen. Riet Hazelaar, die als einzige Stute den Gang gegen das starke
Geschlecht gewagt hatte, wurde dann doch nur Dritte vor Timothy B und dem
ermatteten Rob The Bank, der die fünfte Prämie nur deswegen erhielt, weil
Global Ufo auf der äußersten Umlaufbahn unmittelbar vorm Zielstrich als Fünfter
aus dem Takt geriet. Für Paul Hagoort war‘s als Trainer bereits der achte
deutsche Derby-Treffer.
Trostpflaster für
Rainmaker
Die
nach Rückzug von Gustav Simoni und Liverpool Newport verbliebenen neun
Dreijährigen bekamen den Start zum mit 20.000 Euro dotierten B-Finale des Derbys sehr viel ansehnlicher hin als ihre „großen“ Derby-Kollegen.
Auch diese Prüfung wurde im Foto-Finish entschieden, an dem die hochgehandelten
Roberts Son BB und Lucky Steel sowie der nach einem frühen Fehler auf weiten
Wegen kurbelnde Ole Bo keine Aktien hatten. Mit letzter Kraft wehrte der von Rudi Haller perfekt im Fahrwasser des
äußeren Anführers Roberts Son BB geparkte Rainmaker
die Attacke seines Schattenmannes Oblivion ab, so dass die 10.000 Euro für
Platz eins an den Stall Wieserhof der Familie Lindinger ging.
Jugend-Preis: Smart
Hill As auf Cindy Truppos Spuren
Im
Vorjahr hatte Cindy Truppo, Deutschlands Traber des Jahres 2020, nach dem
Durchmarsch durchs Gerhard-Krüger-Memorial auch den Jugend-Preis, Deutschlands ältestes Zuchtrennen überhaupt, an ihre
Fahne geheftet. Heuer tat es ihr Smart
Hill As gleich, mit dem Paul Hagoort einen überaus hoffnungsvollen
Youngster im Stall hat. Lange ließ Robin
Bakker die raketengleich nach vorn gedüste Marvellous Street gewähren, die
letztlich ihrem eigenen Tempo zum Opfer fiel. 500 Meter vorm Ziel orientierte
sich Bakker mit dem von Alwin Schockemöhle gezüchteten Sohn des amerikanischen
Weltklasse-Vererbers Muscle Hill nach außen, um zum rechten Zeitpunkt freie
Fahrt zu haben. Der Rest war Formsache für den ungemein praktischen Hengst, dessen
Chauffeur sich in aller Seelenruhe die vergeblichen Mühen der Konkurrenz
anschauen durfte. 1:14,8 war Smart Hill As‘ harsche Ansage, der vermutlich zur
Breeders Crown noch einmal in Berlin aufkreuzen wird.
Derby-Revanche:
Wagnis-Kapital mit hoher Rendite
Obwohl
nach Ausfällen von Deon W und Hidalgo Heldia nur noch ein Quartett übrig blieb
in der mit 25.000 Euro dotierten Derby-Revanche,
ging es hoch her auf der Zielgeraden. Der im Vorjahr so krass an einer
Galoppade gescheiterte Keytothehill wehrte sich in Front nach Leibeskräften
gegen Derby-Sieger Wild West Diamant, in dritter Spur kämpfte sich Dream
Fashion heran - und Michael Nimczyk
hätte sich die Haare gerauft, hätte er keinen Helm aufgehabt, weil für seinen
hinter diesem Trio liegenden Venture
Capital einfach kein Schlupfloch kommen wollte. 100 Meter vorm Ziel ging
die Tür dann doch auf, und mit irrem Speed flitzte der in diesem Jahr bereits
in Kopenhagen und Stockholm für Furore
sorgende Fuchs mit gespitzten Ohren um eine halbe Länge an Wild West Diamant
vorbei. „Er hat richtig Spaß am Laufen und eine enorme Grundschnelligkeit wie
kaum ein Zweiter, die uns heute enorm geholfen hat“, strahlte der Goldhelm.
1:11,6 - so rasant war der gehfreudige Hengst aus dem Hause Mommert nie zuvor unterwegs.
Wie üblich war Deutschlands Goldhelm nach diesem Big-Point keinesfalls satt.
Auch wenn’s mit King of the Hill,
der mit Unforgettable, Expo Express, Flashback und Juan Les Pins unvergessliche
Geschwister hat, am Ende gegen den einen Hauch zu spät auf Hochtouren kommenden
Blizzard PS haarig knapp wurde, ließ er sich den zweiten Sieg nicht mehr
entreißen
Ein wilder Wikinger
stürmt zum Bahnrekord
Ein neunjähriger Haudegen, der für seine 60 Auftritte schon durch halb Europa gereist war, schrieb auf der Rekordmeile Bahngeschichte: Halva von Haithabu, den Rudi Haller trotz zweiter Startreihe über die englische Meile nach 300 Metern vorn hatte, löste - ausgerechnet - seinen Star Orlando Jet als Bahnrekordler ab: 1:10,9 lautet die neue Marke, die der wuchtige Wikinger aufs bestens präparierte Mariendorfer Parkett zimmerte und Natorp Bo keine Chance ließ. 6.600 Euro wanderten dafür aufs Konto des seit zweijährig unter Dampf stehenden Hengstes, das mit 156.980 Euro üppig gefüllt ist.
Einmal
durfte die Amateure an Deutschlands bedeutendstem Trabrenntag ran - und das zu
Beginn. Trotz zweimaligen Dauerdrucks durch Außenseiterin Hope Diamond ließ
sich Tom Karten mit Versace Diamant nicht von der Siegerstraße schubsen und feierte seinen 25.
Treffer in überlegenem Stil.
Der
1. Lauf des unvermeidlichen Kombi-Pokals, ein Trabreiten, ging auf die Kappe von Oui Cherie und Melanie
Fleschhut, die auf der Zielgeraden den führenden Hector Eck in Galopp
trieben. In Lauf 2 für die Profis
blieb die Serie bestehen, dass kein Pferd beide Läufe gewinnen kann. Oui Cherie
war nur am Ende auszumachen, wogegen I’ve
got mail mit Thomas Panschow
flink an die Spitze flitzte, dort nie ernsthaft behelligt wurde und sich den
einmal erarbeiteten Vorteil nicht mehr abjagen ließ.
Endlich
schien auch für den x-fachen Österreich-Champion Gerhard Mayr die Sonne. Mit der nobel gezüchteten Zelistrophilla schlug er aus der
Deckung mit sehenswertem Endspurt entschlossen zu und ließ bei einem Kurs von
154:10 so manche V7+-Wette platzen.
Auch
die Franzosentraber konnten sich
noch mal austoben. Über die einstige Derby-Distanz von 3.200 Metern hatten
trotz zweier Zulagen die beiden Reichsten die meiste Puste. Und weil sich Jaap
Fikse mit seinem Erwood d’Ecajeul auf der ersten Runde in dritter Spur ziemlich
verzettelte, während Stefan Hiendlmeier
seiner Desirée Star ganz lange ein
Führpferd angedeihen ließ, hatte die Fuchsstute fast logischerweise die meisten
Reserven, gab ihrem Kontrahenten locker das Nachsehen und wiederholte damit
ihren 2020er Erfolg. Nichts mehr zu sehen war von Farlington, der 2.500 Meter
lang den mäßigen Takt vorgeben hatte.
Seinen
rasanten Antritt nutzte Jack vom
innersten Startplatz, wurde bei schneidiger Fahrt nie ernsthaft attackiert und
entführte mit Rosalie Janssen die
vorletzte Siegerschleife ganz leicht vor Kronos Vivienne nach Holland. Die
letzte blieb fast schon traditionell in Berlin. Noch einmal ging’s über 2.500
Meter, und den längsten Atem hatte der nicht wie sonst im Speed gebrachte,
sondern von Jorma Oikarinen nach
einer halben Runde in Front installierte Willow
Bay Evert, der sich vom österreichischen Flüster-Favoriten Catch me if you
can, der für die Schlussrunde an seiner Flanke auftauchte, einfach nicht fangen
ließ.
Beim
Umsatz pro Rennen gab‘s im Vergleich zum Derby-Tag 2020 fast eine Punktlandung.
Statt durchschnittlich 43.545 Euro wurden 43.065 Euro durch die Totokassen
gezogen. Ein gerüttelt Maß davon entfiel auf die V7+-Wette, die nicht getroffen
wurde. Auf die Freunde der immer besser angenommenen Großwette wartet bei der
nächsten Ausspielung ein Jackpot von
33.540,72 Euro.
Umsatz bei 13 Rennen: 559.849,04 Euro
(incl. 295.471,14 Euro Außenumsatz) , davon 62.547,20 Euro in der V7+-Wette.
Umsatz PMU-Rennen (Rennen 11 bis 13)
in Frankreich: 410.548,86 Euro
Unser Terminhinweis: Die nächste Mariendorfer Veranstaltung findet am Sonntag, dem 26. September statt. Veranstaltungsbeginn ist um 13.30 Uhr Im sportlichen Mittelpunkt steht der mit 10.000 Euro Preisgeld dotierte vierte Lauf der Goldserie. Die Starterangabe, die Sie auch online auf www.rennbahn-berlin.de vornehmen können, ist am Dienstag, dem 20. Juli. Sie erreichen das Mariendorfer Rennsekretariat unter der Rufnummer 030-7401229 bzw. per Mail an starterangabe@rennbahn-berlin.de.